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Einfach machen, worauf man Bock hat – ein Gespräch mit Mine

Ein Beitrag von Philipp
vom

Am 12. April erschien das neue Album „Klebstoff“ von Mine, das größer, drängender und professioneller klingt als seine Vorgänger und dabei noch näher zu Mines Kern vordringt. Wir haben die Künstlerin auf eine Limo getroffen und mit ihr über die Zerrissenheit unserer Zeit und abgefahrene Instrumente geredet. Und Eichhörnchen beobachtet.

Mine Pressefoto 2019
© Mine

Jeder Song auf „Klebstoff“ ist wie eine neue, glitzernde Oberfläche im Spiegelkabinett unserer Lebenswelt und bei jedem Hören gibt es etwas Neues zu entdecken. Manchmal erkennen wir uns selbst, manchmal versperren wir uns selbst die Sicht. „Jeder Blick ist ein Bild wert“, heißt es im Song „90 Grad“, der das Im-Moment-Sein feiert. „Alles ist Komposition.“ Alles greift ineinander. So auch das komplette Album. Schon im darauffolgenden Song „Spiegelbild“ zeigt sich eine neue Facette: „Als es passiert ist, war ich abwesend.“ Wir wollen wissen:

Kannst du die Gegenwart gut genießen?
Mine: Ich bin zu wenig in der Gegenwart, weil ich immer schon an morgen denke. Und im Nachhinein fällt mir auf, dass das voll geil war und ich hab’s gar nicht gecheckt. Das hält sich aber im Rahmen. Ich kann auch Dinge aus der Gegenwart mitnehmen. Auf Konzerten zum Beispiel schaue ich mir manchmal alles ganz genau an oder schließe kurz meine Augen, um die Musik einfach mal mit mir machen zu lassen.

Man muss Mines Album „Klebstoff“ auch erstmal auf sich wirken lassen, sich darauf einlassen. Der Song „Nichts“ zieht mit Stranger Things-Atmosphäre die Zuhörenden mit trommelnder Hintergrundepik so richtig rein ins Album.

Woher kommt diese drängende Energie?
Mine: Im Schreibprozess höre ich meine Musik richtig oft beim Joggen. Entweder ich muss das Gefühl haben immer schneller laufen zu wollen oder mich zurückzunehmen. Auf jeden Fall muss der Song irgendwas mit mir machen, dann ist es geil!

Weißt du schon von vornherein wie ein Song am Ende aussehen soll?
Mine: Meistens habe ich beim Produzieren bereits ein gewisses Bild im Kopf, auch wenn am Ende nicht immer genau das dabei rauskommt, was aber auch total okay ist. Es kommt immer darauf an, auf welcher Idee ein Song fußt. Bei „S/W“ wusste ich ganz genau wie das klingen muss. Das muss nach 80er klingen. Da müssen die Drums aus der Dose kommen und dürfen nicht eingespielt sein. Bei „Spiegelbild“ war das anders, weil die Sachen von Bennet von AB Syndrom noch dazu kamen.

Musikalisch lässt sich das Album nicht in eine Schublade stecken, aber das sind wir von Mine gewohnt. Einerseits ist es noch vielfältiger und spielerischer im Umgang mit Stilen und Musikgenres als die vorherigen Alben, ohne sich dabei zu verlieren. Andererseits klingt jedes Stück sehr klar und deutlich nach Mine.

Woher kommt diese Mischung?
Mine: Ich verbinde gerne alle Dinge, die ich gut finde und dann ist mir das egal aus welcher Zeit oder welchem Stil die stammen. Ich finde das gar nicht so gut, sich nur daran zu orientieren, was gerade hip ist oder gut funktioniert, bin aber trotzdem dafür, sich alles anzuhören. Ich finde das immer gut, das als Inspiration zu nehmen, aber nicht zu kopieren.

Sicherlich entstammt der ganz eigene Mine-Sound aber auch ihrer Liebe zu besonderen Instrumenten.

Welche speziellen Instrumente hast du diesmal auf dem Album?
Mine: Ich habe ein runtergepitchtes Guitaret mit drauf. Das wurde in den 60ern gebaut und sieht aus wie eine Käsehobel. Das hatte ich aber auch schon bei dem Song „Rot“ auf „Das Ziel ist im Weg“. Philicorda ist wieder dabei. Mit einem echten Federhall drin. Ich liebe dieses Instrument und habe so lange danach gesucht. Das benutze ich eigentlich auf fast jedem Album. Und einen Dudelsack bei „Du kommst nicht vorbei“, gespielt von Thomas Zöller, dem einzigen, studierten „Dudelsackisten“. Ich war voll Fan vom ersten Augenblick an.

Mine arbeitet häufig mit vielen, verschiedenen Künstler*innen zusammen. Auf Klebstoff sind neben dem „Dudelsackisten“ Thomas Zöller noch AB Syndrom, Giulia Becker, Haller, Bartek, Dissy und Grossstadtgeflüster vertreten.

Utopisch oder realistisch – mit wem würdest du gerne mal zusammenarbeiten?
Mine: Oooh, wenn ich alles überlegen dürfte? Es gibt so viele… Stromae. Dann könnte ich sterben. Er ist für mich wirklich so ein richtiger Künstler. Ich habe sehr großen Respekt vor ihm, auch wie er mit Texten umgeht. Ich habe alle Texte übersetzt. Der bedeutet mir sehr viel und ich bin sehr traurig, dass er keine Alben mehr macht.

Auf Klebstoff nehmen die Songs thematisch und inhaltlich aufeinander Bezug. War das bewusst?
Mine: Wenn ich schreibe, dann befasse ich mich in diesem Zeitraum meistens mit ähnlichen Themen. Dabei habe ich oft Angst, dass meine Texte sich um das Gleiche drehen, dass es redundant wird. Also beleuchte ich Themen ziemlich deep und lese auch mal was dazu oder mache mir Mindmaps. Wenn ich eine Erkenntnis habe, dann denke ich da von allen Seiten nach. Manchmal nehme ich mir auch raus, über ein und dasselbe Thema komplett unterschiedlich zu denken.

Ich habe eine ungebändigte positive und eine ungebändigte negative Energie.

Diese verschiedenen Perspektiven offenbaren Kontraste, Widersprüchlichkeiten und Gegensätze oder anders: die berühmten zwei Seiten einer Medaille. Die Songs auf Klebstoff schlagen aber auch Brücken, reflektieren sich gegenseitig und ziehen Verbindungen zu anderen Songs und in andere Zeiten. Der Song „S/W“ macht die Ambivalenz sehr deutlich, könnte der 80er-Jahre-Sound wohl kaum neongreller klingen. Der Song beschreibt die zwei Seiten, die in vermutlich allen von uns stecken, auch in Mine selbst.

Wie verhalten sich deine zwei Seiten?
Mine: Ich habe eine ungebändigte positive und eine ungebändigte negative Energie. Ich denke voll oft: Alles ist voll geil und ich bin total euphorisch und finde alles, was ich mache geil. Und dann denke ich, wie scheiße alles ist; es macht alles keinen Sinn und dann versinke ich darin. Ich finde es krass, dass beide Seiten so eine Macht über mich haben können.
Aber generell bin ich ein eher positiver Mensch. Ich gehe so oft verträumt durch die Welt und schaue in den Himmel und…

(Mine schaut verträumt aus dem Fenster in den sonnigen Hinterhof)
GUCK MAL! Da sind zwei Eichhörnchen. Kein Scheiß! Genau in diesem Moment! Ist das nicht der Wahnsinn?!

Ein perfekter Moment der Gegenwartszelebrierung! Überhaupt spielt Zeit in den Texten eine zentrale Rolle: Mal sendet Mine eine Nachricht an ihr Zukunfts-Ich. Mal verarbeitet sie die Vergangenheit. Mal weckt der Sound Assoziationen an die 80er. Zeiten überlagern sich.

Ist Musik für dich ein Mittel, Zeit anders auszudrücken?
Mine: Musik kann voll gut Erinnerungen schaffen. Beim Song „Der Mond lacht“ auf meinem ersten Album muss ich zum Beispiel immer an mein winziges Zimmer in Mannheim denken. Oder ich habe auch einen viel krasseren emotionalen Bezug zu Musik, die entstanden ist als ich schon gelebt habe als zu Musik, die vor meiner Zeit passiert ist. Zeit und Musik sind aber auch zwei sehr große Worte. Da könnte man jetzt auch in alle verschiedenen Richtungen denken. Unsere aktuelle Zeit und was derzeit in den Köpfen drinsteckt, beeinflusst ja auch die Musik. Jetzt gerade ist Musik wieder sehr politisch, was in meiner Jugend eigentlich überhaupt keine Rolle gespielt hat. Da sind die Menschen einfach ziemlich unpolitisch groß geworden.

Was denkst du, woran das liegt?
Mine: Es gibt eine immer krassere Spaltung zwischen reich und arm; gut und schlecht. Wenn man sagt, man findet Deutschland toll, ist man sofort ein Nazi und wenn man die AfD scheiße findet, ist man gleich ein linker Steine-Schmeißer. Es wird alles viel krasser getrennt. Also, ich finde die AfD auch scheiße und dass das so viele Leute in irgendeiner Weise gut finden, ist für mich völlig absurd.
Aber andererseits werden manche Themen auch komplexer behandelt als früher. Die aktuelle Diskussion um Shirin David zum Beispiel. Wo man früher vielleicht gesagt hätte: ‚Naja, die sieht gut aus, die ist jung, die trägt sehr wenig, die ist auf jeden Fall keine Feministin‘. Sie steht für sich und macht eigentlich nichts anderes als ihre männlichen Kollegen, wird aber dafür angekreidet. Wieso ist das so? Da sehe ich aber eine positive Entwicklung, dass man auch einfach Sachen machen kann, auf die man Bock hat. Und kann man nicht auch mal Bock haben, sich auszuziehen und trotzdem eine Meinung zu haben und schlau zu sein? Ja, das geht auf jeden Fall und es ist gut, dass das immer mehr Leute verstehen.

Machen worauf man Bock hat, auch wenn andere Menschen was dagegen haben, davon handelt auch der Song „Einfach so“, den Mine gemeinsam mit Giulia Becker aufgenommen hat.

Wie gehst du mit Hindernissen und Herausforderungen um?
Mine: Manchmal ist die einzige Möglichkeit an etwas zu wachsen, Dinge einfach zu tun. Aber wenn es dann nicht perfekt ist, dann ist das auch okay. Das habe ich aber auch erst sehr spät gecheckt. Trotzdem ist es ganz schön, wenn auch mal jemand motiviert und sagt: Doch, mach das einfach mal! Aber bei manchen Hindernissen frage ich mich schon, ob ich da überhaupt daran vorbei will, ob sich der Aufwand lohnt.

Und was hast du zuletzt einfach so gemacht?
Mine: Am Tag nach dem Release lag ich schon nachmittags auf dem Sofa bis nachts um 12 und habe Trash TV geguckt.

Bist du gut darin, dir Zeit zu nehmen?
Mine: Ich mache schon eher, worauf ich Bock habe. So bis Mitte 20 habe ich mich sehr leiten lassen und habe vieles gemacht, wovon ich dachte, ich sollte das besser mal machen. Was mir trotzdem noch sehr schwer fällt ist, Dinge abzusagen. Wir haben jetzt 8 Jahre an dem Projekt gearbeitet und jetzt gehen Türen auf, die immer verschlossen waren und ich will gerne durch alle Türen gleichzeitig. Im Allgemeinen überlege ich mir aber schon ganz gut, was ich mit meiner Zeit anstelle, weil für mich Zeit das höchste gut ist. Und man weiß ja nicht wie viel man noch hat.


Mine ist übrigens im Mai auf großer Klebstoff-Tour. Ihr Album „Klebstoff“ ist am 12.04.2019 erschienen.

Video: Mine – Klebstoff

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