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Pandemie stellt die Musikbranche vor neue Herausforderungen

Ein Beitrag von Philipp
vom

Misstöne hat es in der Musikbranche schon immer gegeben. Unerwartete Bandauflösungen, Krankheiten, abgesagte Konzerte, die die Fans frustriert und die Veranstalter vor finanzielle Probleme gestellt haben, gehören im Showgeschäft dazu. Doch nichts davon kommt an die Krise dieses Jahres heran. 2020 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Live-Musik fast verstummt wäre.

© e-gitarre

Anfang März, als die Pandemie noch in den Anfängen war, wurden die ersten Tourneen und Festivals vorsichtshalber abgesagt und auf Ersatztermine im Herbst verlegt. Madonna, Billie Eilish, Harry Styles, die Altstars von Guns ‚n‘ Roses – sämtliche Auftritte standen plötzlich in Frage. Bis es keine Frage mehr gab, angesichts der Welle von Infektionen und Todesfällen. Von Coachella bis zu Rock am Ring wurde ein Festival nach dem anderen für 2020 endgültig abgesagt und Clubs und Konzerthallen wurden geschlossen.

Für die Musikbranche ist das ein Schlag, wie er in dieser Tragweite noch nicht vorgekommen ist. Außer Bandmitgliedern und Sänger sind zigtausende andere betroffen, die ihren Lebensunterhalt als Tontechniker, Beleuchter, Roadies, Bühnenarbeiter, Backgroundtänzer und mehr verdienen. Während die Musik im Radio, Fernsehen und in Streaming-Diensten weiter spielt, wurde es hinter den Kulissen sang- und klanglos düster.

Doch nach der ersten Verzweiflung wurden etliche Künstler aktiv. Obwohl Live-Auftritte, die vielfach trotz Spotify, YouTube und Apple Music den Großteil der Einnahmen in der Musikbranche ausgemacht haben, zumeist unmöglich waren und die wenigen Musiker, die ihre Fans zu Konzertbesuchen ermutigten, sofort in die Kritik gerieten, hat die Branche einen neuen Rhythmus gefunden.

Selbst wer kein eigenes Tonstudio im Haus hat wie Superstar Taylor Swift, die während des Lockdowns mit „Folklore“ ein komplettes Album geschaffen hat, haben sich zahlreiche Musiker hingesetzt, Songs aufgenommen und sie ins Internet gestellt.

Das weltweite Web ist dank Covid inzwischen zur neuen Heimat von Musikevents geworden. Von „One World Together at Home“, bei denen internationale Stars einen Song von Zuhause für ein weltweites Konzert gestreamt haben, bis zu „United We Stream Berlin“ lassen sich die Gigs übers Handy, Tablet oder den PC ins eigene Wohnzimmer holen. Eine Liste beliebter Online-Events lässt sich hier finden.

Statt in den Konzertsälen werden Aufzeichnungen von Konzerten zum Teil auch in den ebenfalls arg gebeutelten, gerade erst wieder öffnenden Kinos gezeigt.

Aber die Pandemie und das Wegfallen von Sommergigs und Festival wie beispielsweise das berühmte ungarische Sziget Festival haben zudem die Lust am selbst Musik machen wieder entfacht. Von Balkongesängen in Italien bis zum Erlernen von Gitarre und Drums oder dem Auffrischen alter Talente hat die Musik an sich nichts von ihrem alten Zauber verloren.

Das wissen auch die Politiker. Die deutsche Regierung hat als Teil ihrer Pandemie-Hilfspakete unter anderem eines für die Musikbranche geschnürt. Weil etliche kleine und mittelständische Unternehmen, die von Live-Konzerten und Festivals leben, um ihre Existenz bangen, gibt es für sie ein Förderprogramm, um Pandemie-gerechte Kulturereignisse und Festivals auf die Beine zu stellen. Bis zu 80 Millionen Euro stehen dafür im Rahmen des 150 Millionen Euro schweren Rettungs- und Zukunftspakets Neustart Kultur zur Verfügung.

Gigs mit Maskenpflicht und Abstand zu anderen Menschen im Publikum sind kein Vergleich mit dem Massengedränge von Zigtausenden begeisterter Fans, aber sie sind ein Schritt in Richtung einer neuen Normalität.

Dass selbst mit finanzieller Unterstützung aus der Politik die meisten Künstler, Techniker, Bühnenarbeiter, aber auch Clubs und Labels überleben können, daran glaubt allerdings kaum jemand. So wie andere Trends auch ändert sich das Konsumentenverhalten ständig.

Podcasts zum Beispiel gehören zu den Pandemie-Gewinnern, was wiederum zu einem enormen Wachstum im Angebot führt. Doch die ständig größer werdende Konkurrenz um das Ohr des Zuhörers bedeutet auch, dass die Erfolgschancen für jeden einzelnen Podcast-Anbieter geringer werden, wenn er nicht von vornherein durch seinen Namen, seine Themen oder seine Gäste einen Marktvorteil hat.

Zu den Hits dabei gehört Popcast, eine Sendung der Musikredaktion der New York Times, die sich ausschließlich Themen der Popkultur widmet.

In der deutschen Musikszene finden sich immer mehr Podcasts wie der All Good Podcast, die vor allem deutschem Rap und Hip-Hop gewidmet sind.

Toctronic-Bandmitglied Jan Müller interviewt in seinem Podcast Reflektor andere Musiker aus diversen Musikrichtungen, inklusive Urgesteinen wie Liedermacher Reinhard Mey.

Die ersten Live-Konzerte im Rahmen von Tourneen sind derzeit auf deutschen Bühnen für ab Ende Oktober 2020 geplant. Dann sollen unter anderem A-ha, Ozzy Osbourne, Die Ärzte und Selig den Fans wieder einheizen können.

Ob es tatsächlich dabei bleiben kann oder ob die Pandemie-Gefahr wieder zu stark steigt, wird sich erst noch herausstellen müssen, und auch die Bereitwilligkeit der Fans, sich wieder bei Großveranstaltungen zu amüsieren, steht noch in Frage.

Aber eines steht bereits fest. Obwohl die Musik weiter klingen wird, hat der Großteil der Branche gute Gründe, weiterhin ernste Töne anzuschlagen. Das Image vom Hungerkünstler ist durch Covid-19 in etlichen Fällen nur allzu zutreffend geworden.

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