Pop kann uns die Welt erklären und dazu gehören auch die kleinen Momente, die wehtun und glücklich machen. AnnenMayKantereit singen davon. Aber irgendwo, auf dem Weg von der Straßenmusik in die großen Hallen, haben die Jungs ihre Lockerheit verloren.
AnnenMayKantereit und die Last der Erwartungshaltung
Ich würd gerne mit dir in ner Altbauwohnung wohnen, zwei Zimmer, Küche, Bad und ein kleiner Balkon“ – keine utopischen Wünsche macht Henning May im Song „3.Stock“ geltend, es sei denn, man will in Berlin Friedrichshain wohnen. Zum Glück kommen die vier anfangzwanziger aus Köln und bilden als AnnenMayKantereit die wohl spannendste WG, seid Tim Sander GZSZ verlassen hat. Ähnlich spannend wie in der Daily Soap geht es auch auf ihrem Debüt „Alles Nix Konkretes“ zu. Ein Album, auf das gefühlt eine ganze Nation seit Ewigkeiten wartet. Die vier unscheinbaren Helden, gekommen im Pulli und mit Reibeisenstimmen um unsere musikalische Landschaft wieder erblühen zu lassen. Viel schief gehen kann da ja im Grunde auch nicht. Vorschusslorbeeren wachsen bei AnnenMayKantereit bekanntlich Plantagenweise. Und die wuchern seit ein, zwei Jahren auch munter vor sich hin zu einem spannenden Labyrinth aus Geschichten einfacher Leute und Hennings einzigartiger Stimme. Ein simples Geheimrezept, eigentlich!
Der Erfolg von AnnenMayKantereit liegt in dem Wunsch nach kollektivem Empfinden
Schließlich muss man sich nicht immer mit den großen Tragödien schmücken, schon gar nicht, wenn man blutjunge 20 Jahre ist. Da verstrickt man sich viel eher in fadenscheinige Entschuldigungen an so tolle Mädels wie Pocahontas oder lebt locker in den Tag und spielt „Barfuß am Klavier“. Einfach eben. Das bewegt die normalen Leute. Da kann man sich selbst wiederentdecken. Und weil jeder den Schmerz kennt, den die Liebe mit sich bringt, macht es auch Sinn seine Alltagswehwechen im Kollektiv zu therapieren und nicht im kleinen Kreis. Gemeinsam einsam sein sozusagen. Hat sich sicherlich auch Universal gedacht, als sie begannen, AnnenMayKantereit unter die Arme zu greifen. Seither sind die intimen Zeiten als Support der Beatsteaks vorbei, bei der dieser schmale Bursche mit seiner Zauberstimme sowohl die kleinen Clubs als auch die großen Hallen in Sprachlosigkeit tauchte. Prioritäten wurden neu gesetzt, das kölsche Klangkollektiv wurde wie die Sau durchs Dorf getrieben. Auf Facebook freuten sich Fans aus Cottbus und Paderborn, das die tollen Kerle von AMK in ihre Stadt kommen. Ein Gig jagte den Nächsten. Da kann man eigentlich einmal die Frage in den Raum stellen – wann schaffen es May und Kollegen eigentlich noch zu komponieren? Die 12 Songs auf „Alles Nix Konkretes“ liefern Antwort – weniger als man ihnen wünschen würde.
AnnenMayKantereit – Oft Gefragt
Pubertäre Gefühlswelten und im Rücken den Erfolgsdruck
AnnenMayKantereit haben sich zumindest gefühlt zu Tode getourt und dabei vergessen den Reizpunkt zu setzen. Den wichtigen Überraschungsmoment der nach der umwerfenden EP „Wird schon irgendwie gehen“ dringend nötig gewesen wäre. Songs wie „21,22,23“ sind bekannt und geliebt, von „Barfuss am Klavier“ braucht man kaum zu sprechen und mit „Pocahontas“ haben wir unter den neuen Songs das große Highlight. Neue Lieder wie das träge „Länger Bleiben“ verschwinden viel zu schnell aus den Gedanken und das bluesige „Bitte Bleib“ riecht förmlich nach dem letzten Bier, das „schlecht“ war. Über allem schwebt nun irgendwie die dunkle Major-Label-Wolke die AnnenMayKantereit die Lockerheit in Ihren Geschichten genommen hat. Alles wirkt ernst, entschleunigt und mit einem Lappen auf Hochglanz poliert. Dabei ist es doch die Ehrlichkeit in der Urform ihrer Songs, der wir so hoffnungslos verfallen sind. „Alles Nix Konkretes“ ist definitiv kein schlechtes Album, aber eben auch alles nix konkretes. Zumindest streckenweise. Vielleicht fällt das Henning und seinen Freunden bei ein paar Brötchen auf dem Balkon seiner 2-Zimmer Altbauwohnung ja auch bald auf. Wünschenswert wäre das ja.