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Basti von CALLEJON über ihre neue Platte „Fandigo“, kritische Facebook-Kommentare und Kannibalismus

Ein Beitrag von Cindy
vom

Kurz vor der Releaseparty am 29.07. im Berliner Musik & Frieden, haben wir uns mit Basti von CALLEJON zusammengesetzt und ihn etwas zu der neuen Platte „Fandigo“ ausgequetscht. In einem tiefgründigen Gespräch hat er uns verraten, was für Hintergrundinformationen notwendig sind, um das Album zu verstehen, in wie weit Kannibalismus dabei eine Rolle spielt und wie er mit Kritik in Form von Facebook-Kommentaren umgeht.

CALLEJON © Lukas Richter
CALLEJON // © Lukas Richter

Herzmukke: Hi Basti. Schön, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Wie geht es dir nach dem Release von eurer neuen Platte „Fandigo“?

Basti: Eigentlich geht’s mir sehr gut, aber nach einem Release hat man immer gemischte Gefühle. Man bringt ein Album raus, an dem man wirklich zwei Jahre gearbeitet hat und bei mir ist es dann immer so, dass ich in ein kleines Loch falle. Andererseits bin ich super erleichtert, dass es endlich draußen ist. Das wechselt immer zwischen einem Hochgefühl und „Ich weiß nicht, was ich jetzt mit mir anfangen soll.“

Wie man auf Instagram live verfolgen konnte, habt ihr den Release gestern schon ausgiebig in Düsseldorf – eurer Heimat – gefeiert. Wie war das so unter Freunden und alten Bekannten?

Basti: Das war richtig cool! Wir machen das öfters so, dass wenn wir ein neues Album haben, wir es erst einmal in kleineren Locations präsentieren. Wir lieben die kleine, kuschelige Atmosphäre.
Düsseldorf war nach zehn Minuten und Berlin nach einem Tag ausverkauft. Das ist schon ein geiles Gefühl.

Was muss das Berliner Publikum heute tun, um gestern zu toppen?

Basti: Noch lauter mitsingen!

Ist euch schon mal aufgefallen, dass das Publikum in verschiedenen Bereichen Deutschlands anders drauf ist?

Basti: Ja, auf jeden Fall, aber das ist auch immer ein bisschen Zeitabhängig. Als wir 2002 angefangen haben Musik zu machen, waren wir hauptsächlich ganz im Osten von Deutschland unterwegs, weil die Hardcore/Metal Szene dort einfach viel größer vertreten war. Damals war es üblich, dass man für ein „Äppel und ein Ei“ vor einem sehr kleinen Publikum gespielt hat und gerade mal die Benzinkosten wieder raus hatte. Aber das war egal, wichtig war: bekannt zu werden und seine Fanbase zu erweitern.
Inzwischen hat sich das aber etwas geändert. Diese kleinen Szenen gibt es meiner Meinung nach gar nicht mehr so wirklich.

Aber zurück zum Thema. Im Süden von Deutschland habe ich öfter das Gefühl, dass es etwas frenetischer hergeht, d.h. die lieben es entertaint zu werden. Das ändert sich aber ständig. Die Frenetik verlagert sich. Gleiches habe ich auch schon im Osten oder Norden zu anderen Zeiten erlebt.

Fandigo ist die Platte, die ich immer schreiben wollte.

Könntest du uns etwas zum Albumnamen „Fandigo“ verraten? Was heißt das eigentlich?

Basti: „Fandigo“ ist eine Wortneuschöpfung aus den Worten Fan und Wendigo. Wendigo ist ein alter indianischer Mythos, der besagt, dass, wenn man das Fleisch eines anderen Menschen isst, dann wird man abhängig von Fleisch, nimmt aber auch die Seelen, die Stärke und alles was dazu gehört mit auf. Man ist verflucht. Und diese Mischkomponente aus diesen beiden Worten – Fan und Wendigo – fanden wir sehr interessant. Der Song „Fandigo Umami“ handelt davon, dass ein Fan so besessen ist von seinem Idol, dass er es essen muss, um es komplett für sich alleine und in sich zu haben. Das hat was mit unendlicher und gleichzeitig extrem fehlgeleiteter Liebe, mit sehr komplexer Sexualität und ebenso einer krankhaften Besessenheit zu tun. Eine Geschichte, die böse endet.

Ist es immer noch so nervenaufreibend ein neues Album raus zubringen?

Basti: Ja, ich muss ganz ehrlich sagen, dass es mega nervenaufreibend ist. Egal was man macht, man verspürt immer einen ganz bestimmten Druck. Den Druck von außen und den, den man sich selber macht. Dieses Wechselspiel ist immer etwas anstrengend.

Callejon Release Party im Musik und Frieden
© Herzmukke // Callejon Release Party im Musik und Frieden

Wenn ihr Zeit habt Musik zu hören, hört ihr dann auch mal eure eigenen Songs?

Basti: In der Zeit, wo wir das Album schreiben und aufnehmen, höre ich unsere Musik fast ständig. Aber sobald das Album draußen ist, höre ich es eigentlich nicht mehr. Mindestens für ein halbes Jahr nicht mehr. Ich spiele es immer live, dann brauche ich einfach etwas Abstand dazu. Witziger Weise ist es gerade bei „Fandigo“ nicht der Fall. „Fandigo“ ist die Platte, die ich immer schreiben wollte. Einige Zeit nach Ende der Produktion habe ich das Album mal wieder angemacht und fand es gut. Meistens ist es so, dass man reinhört und sich denkt, dass es scheiße ist, es viel besser hätte sein können oder dass die Demos besser sind.
Aber dieses Mal war es nicht so. Dieses Mal dachte ich: „Wow, was haben wir da für ein geiles Album gemacht!“ Das Album ist mit Abstand das Beste, das wir je geschrieben haben. Ich will nicht sagen, dass die anderen Alben kacke sind, aber es ist Teil der Entwicklung, dass man irgendwann sagt, dass es mir nicht mehr gefällt.

Was hat sich seit dem letzten Album speziell bei euch verändert?

Basti: „Wir sind Angst“ war ein sehr hartes, wütendes Album. Das war noch die Zeit vor dem großen Populismus, vor dem Knall und wir wollten schreien, aufmerksam machen, warnen. Grundlegend war das Thema Angst und wenn man Angst hat, kann man nicht mehr klar denken und Entscheidungen treffen. Angsterfüllte Entscheidungen sind meistens schnelle, schlechte Entscheidungen, die aus einem emotionalen Impuls heraus getroffen werden. Das war eben noch vor der Zeit von Trump und Co.

Mit „Fandigo“ haben wir uns gefragt, wie wir uns jetzt fühlen.
Deshalb haben wir uns damals, als wir angefangen haben das Album zu schreiben, dafür entschieden, dass wir kein „Porn from Spain 3“ machen, weil die Zeit das gerade nicht zulässt. „Fandigo“ ist nun eher düster, weil wir moderne Musik machen wollen mit Texten, die auch was zu sagen haben.

Auf dem ganzen Album geht es um Reflektion und die Frage danach, was die Realität ist. Ist die geschönte Welt des Internets mitsamt Instagram usw. real, weil es die meisten Leute wahrnehmen? Oder ist die Realität, das was ich erlebe?

Du schreist auch nicht mehr so oft…

Basti: Richtig. Das hat damit zu tun, dass Schreien für mich etwas Besonderes geworden ist. Ich steh‘ natürlich immer noch total drauf. Aber früher, als wir angefangen haben Musik zu machen, war ich wütend und Schreien war meine Stimme, mit der ich meine Wut äußern wollte. Jetzt ist es eher mein Medium, welches ich gezielter einsetzen möchte. Ich will es nicht mehr als durchgehendes Stilmittel nutzen, sondern es gewissenhaft einsetzen, wenn ich wirklich Wut zum Ausdruck bringen will.

Momentan ändern viele Bands, wie beispielsweise Bring Me The Horizon und Papa Roach, ihren Sound – werden ruhiger und nachdenklicher. Auffällig ist, dass Fans damit unzufrieden sind und dies auch schnell mal im Internet kundtun. Ist es schwer, damit umzugehen?

Basti: Ich würde wirklich gerne sagen, dass mir solch kritische Meinungen zu unserer Veränderung scheiß egal sind und dass ich es gar nicht erst lese, aber wenn du wirklich so lange an so einer Sache sitzt und es die ganze Zeit nur deins war, dann lechzt man nach einem Feedback. Kritik ist super, aber so unbegründete „Find ich scheiße“-Kommentare sind sinnlos. Das ist nicht so einfach. Man ist ja nie gezwungen eine Meinung zu etwas abzugeben, aber wenn ich das tue, dann sollte ich es auch begründen können. Das ist so als würde jemand sagen „Ausländer sind scheiße“ und ich frage „Warum?“ und der andere sagt wieder „Ist halt meine Meinung“. Das ist sehr, sehr dumm und schwach. Wenn man schon so eine Aussage bringt, sollte man diese auch begründen können. Das beherrschen leider nicht so viele Menschen.

Okay, ich bin vielleicht kein perfekter Mensch, aber ich kann was ändern.

Aktuell ist auch das Thema Linkin Park. Auch sie mussten nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums „One More Light“ viel Kritik einstecken. Und dann, vor nicht mal zwei Wochen, nimmt sich Chester das Leben. Kannst du dir vorstellen, dass das irgendwie im Zusammenhang steht?

Basti: Der Text von „Heavy“ gefällt mir persönlich sehr gut. Dass die Fans den Song dann eben nur auf die Musik reduzieren, im Sinne von „Das ist Pop und klingt ja wie Justin Bieber“, ist nicht geil. Das ist diese Diskrepanz von einem Sound verbunden mit einem Text, den Lyrics – das Gesamtwerk. Ich möchte sogar so weit gehen zu sagen, dass sich viele Leute das gar nicht durchlesen und dann auch nicht verstehen, was gesagt wird. Aber auch das ist wieder ein Sinnbild für diese Zeit.

Eigentlich wünsche ich mir nur für jeden Menschen, dass man sich einmal in der Woche oder am Tag hinsetzt und nachdenkt – über was auch immer. Ob man über sich selbst nachdenkt oder die Welt ist egal, denn die meisten können nicht mit sich selbst alleine sein. Aber es ist wichtig, dass man überhaupt drüber nachdenkt. Dass man sagen kann „Okay, ich bin vielleicht kein perfekter Mensch, aber ich kann was ändern.“ Es ist einfach eine so benebelte Zeit. Aber es gibt ja zum Glück genauso viele Menschen, die das genauso nervt, wie mich. Es ist an dieser Stelle auch schön zu sehen, dass man in all dieser Hoffnungslosigkeit, die hier gerade im Raum schwebt, nicht allein ist und etwas übrig bleibt, bevor man sagt, dass man auf hört. Wer weiß, was im Endeffekt seine Beweggründe waren… Ich weiß nicht, ob das im Zusammenhang stand.

Alleine die Tatsache, Musik zu machen, die Leute hören, davon leben zu können – das ist Luxus. Und dieser Luxus ist gleichzeitig Kunst. Wenn man aber diese Kunst nur dafür benutzt, um zu zeigen wie geil man ist, dann ist das verschenkt. Dann ist das keine Kunst, dann ist das Müll.

Abschließend zu diesem kleinen Monolog kann ich sagen, dass es darum im neuen Album geht. Es ist okay zu sagen, dass man sich schlecht fühlt. Es ist okay zu sagen, dass man sich scheiße findet. Nur, wenn man das wenigstens einmal kurz zulässt, wird einem bewusst, etwas ändern zu müssen. Demut ist etwas, was fehlt. Und das kriegt man nur rein, wenn man nicht nur etwas sagt, sondern auch zuhört.

Vielen Dank an dieser Stelle für den großen Input. Auf Youtube o.ä. spielt ihr öfter zynische Spaßvögel, die nicht auf den Mund gefallen sind. Aber heute durften wir eure bzw. besonders deine verletzliche, ernste und nachdenkliche Seite kennenlernen. Danke für diese Ehrlichkeit zu diesem sehr speziellen Thema und für deine Zeit, Basti!

Basti: Gerne!

Video: CALLEJON – Noch einmal


Anmerkung der Redaktion: Auf Grund der aktuellen Ereignisse um den Linkin Park Sänger Chester Bennington und der enormen Wichtigkeit um diese sensible Thematik, fühlen wir uns verpflichtet euch diesen Hinweis mit auf den Weg zu geben.

Wer Suizidgedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen dabei, die Gedanken zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist oder sich um nahestehende Personen sorgt, kann sich – auch anonym – an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken unter der Nummer 0800 / 111 01 11.

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