Suzie Fleur im Interview über Straßenmusik

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Wenn ich abends am Küchenfenster sitze, höre ich in den letzen Wochen immer öfter eine Frau, die “where is my mind” von den Pixies singt. Irgendwo, von der anderen Seite der Spree. Jedes Mal zünde ich eine Zigarette an und lausche der mir unbekannten Person.

Suzie spielt live im Mauerpark. Sie trägt einen schwarzen hut und hat wuschelige blondie haare. Sie gestikuliert mit einer Hand. Die Gitarre die sie umhängen hat ist voller sticker.

Credit: Thomas Kuenzel

Suzie from across the river

An einem sonnigen Herbsttag war ich auf dem Wochenmarkt am Boxhagener Platz unterwegs, als ich jemanden singen hörte. Ich stellte mich in die Nähe und hielt Inne.Ich war sicher: das ist sie! Kurz darauf sprach ich die Sängerin an und erzählte, wie ich ihr oft zuhörte.  Sie lachte und sagte “I am Suzie from across the river!”. Ich fragte, ob sie auch ‘where is my mind’ spiele. Tatsächlich war es der nächste Song in ihrem Set. Etliche Leute waren stehen geblieben und lauschten der elfenhaften Gestalt und ich genoss die letzten drei Songs. Den Abschluss bildet ihr neuer Song “Amazing Haze”. Kurz darauf verabredeten wir uns zu einem Interview.

Suzie Fleur lebt seit 3 Jahren in Berlin und kommt ursprünglich aus den Niederlanden. Seit nun 6 Monaten macht sie die Straßenmusik hauptberuflich und erlebt dabei allerlei kuriose und berlintypische Geschichten.

Wir setzen uns mit dem Kaffe raus an die Straße und beginnen zu reden. “Ich habe nicht mein ganzes Leben Musik gemacht. Meine Eltern waren immer sehr künstlerisch und haben mich dabei gefördert. Mein Dad ist Musiker und meine Mutter im Theater. Eines Tages kam meine Mutter in mein Zimmer und verkündete, sie hat mich zu einem Wettbewerb angemeldet – einfach so.” Suzie lächelt: “Da war ich 17 und habe ich das erste Mal vor mehreren Leuten Musik gespielt und tatsächlich den ersten Platz gewonnen!”

Music saved my life

Für Suzie ist Musik einfach ins Leben gerutscht und dann geblieben. Einige Zeit mit Anfang 20 hat sie in Rumänien verbracht. “Ich folgte der Liebe nach Rumänien und arbeitete eine Zeit lang als DJ”.

“Music saved my life”, sagt Suzie. Das meine sie ernst, betont sie. Der Start war holprig. Einige Zeit war Suzie in Berlin arbeitslos und obdachlos. Als sie nach Deutschland kam, war sie nicht auf eine Karriere als Sängerin fokussiert und versuchte sich an “normalen” Jobs. Das funktionierte jedoch nie längerfristig. Sowohl mental als auch körperlich kommt für Suzie ein regulärer Job nicht in Frage. Auch ihre Wohnsituation war schwierig. Mittlerweile lebt sie jedoch in einer Künstler-WG und finanziert sich durch ihre Musik. “Es ist nie ruhig, aber man inspiriert sich jeden Tag gegenseitig”.

Nach zwei Jahren in Berlin begann sie zu busken – also auf der Straße Musik zu spielen. Mit einem Bollerwagen transportiert sie jeden Tag ihr Equipment und spielt in ganz Berlin. Am häufigsten sieht man Suzie Fleur im Sommer an der East Side Gallery oder im Mauerpark. Im Winter ist es an der East Side zu kalt für die Leute, deshalb singt sie jetzt öfter in Mitte. Dabei spielt sie, als würde sie es schon jahrelang tun. Immer dabei hat sie eine Box mit kostenlosen Süßigkeiten und selbstgemachten Schmuck, den sie zusätzlich verkauft.

“Jetzt beginne ich zu sehen, wieso mich das Schicksal hergeführt hat”

Suzie nippt zufrieden an ihrem Kaffe. Jetzt habe sie die innere Ruhe zu schreiben, aufzuarbeiten, aber auch mehr Platz für andere Menschen in ihrem Leben. Ihr “network of buskers” ist mittlerweile groß. Suzie kennt diverse andere KünstlerInnen aus Berlin und spielt gelegentlich gemeinsam mit anderen. “Alina ist eine große Motivation, zu busken”. Die Ukrainische Künstlerin (Vogel_Milch) spielt selbst in Berlin und hat Suzie lange motiviert, sich als Frau auf die Straße zu trauen. “Es ist erstmal schwer, das Selbstbewusstsein in sich zu finden. Nicht immer sind Leute nett und spendabel. Manche Wochen sind hart und der Winter kommt noch.”

Die Straßenkonzerte seien viel belohnender, als vorherige Jobs. Die Menschen bleiben stehen, beobachten, freuen sich und Suzie kann zu eigenen Zeiten arbeiten. Es gebe direktes Feedback, wodurch sie sich mehr verbessern könne. Diese Form der Selbstverwirklichung ist andere Abstriche wert: “Mein WG-Zimmer ist klein, aber super bezahlbar und gemütlich. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar”. Mittlerweile machen ihre Mitbewohner und sie öfter Musik gemeinsam. Stück für Stück steckt Suzie die Leute im Umfeld mit der Liebe zur Musik an.

Blumenmörder

Gerade als wir darüber sprechen, wie das WG-Leben läuft, zerpflückt auf der anderen Straßenseite jemand reihenweise Blumensträuße. Wir trauen unseren Augen kaum. “Die armen Blumen!” Suzie kann nicht wegsehen, aber es tut ihr im Herzen weh. “Ich würde sie am liebsten alle aufheben und beschützen.” Sie sehe oft verrückte Dinge, aber Aggression auf Blumen sind eine neue Erfahrung.

Als der Blumenmörder verschwindet, erzählt Suzie weiter: “Ich habe lange in Mitte gespielt, aber mag die Ecke in der Nähe vom Pirates oder den Boxhagener Platz gerne. Die Leute sind dort sehr angenehm. Nicht zu reich, nicht zu arm und vor allem bleiben sie auch gerne länger stehen und hören zu.” Den Görli besuche sie nur im Frühling gern. “Es gibt dort öfter mal Diebe und unangenehme Menschen. Dort fühle ich mich verletzlich und entmutigt. Und Selbstvertrauen ist das Wichtigste, wenn es um Straßenmusik geht.”

Leider bleiben auch Belästigungen nicht aus. Als die Sängerin vor Kurzem im Mauerpark gespielt hat, habe ein älterer Typ sich lange neben sie gestellt und wurde dann unangenehm: “Etwa 10 Leute schauten zu. Ich hatte eine ziemlich gute Zeit, aber dieser Typ stand einfach da und fing an, zu viel zu teilen. Er wollte unbedingt Aufmerksamkeit und als ich freundlicherweise ablehnte, wurde er immer beharrlicher. Ich sagte ihm, wir könnten später reden, aber er unterbrach mich immer wieder und sagte dann: ‘Ich möchte mit dir essen gehen!’”. Als Suzie das ablehnte, wurde er lauter. Ich frage, wie sie mit solchen Situationen umgehe. “Ich habe versucht, für mich selbst einzustehen und eine Grenze zu ziehen. Da ich das Mikrofon habe, haben die anderen Leute die Situation mitbekommen und ich fühlte mich dadurch sicherer. Der Typ schrie mich an und fing an, rassistisch zu werden, als ich mich weigerte mit ihm zu essen. Er schrie wie ‘Fuck you, ich bin Deutscher! Geh zurück wo du herkommst.’“.

Wie schafft man es, sich von solchen Situationen nicht entmutigen zu lassen?
“Die Lautsprecher geben mir da die power mich bemerkbar zu machen. Das muss man nutzen und schlagfertig sein. Es klingt banal, aber man muss an sich selbst glauben und sich überwinden. Deshalb ist die Musik auch eine Reise zu mir selbst”.

In Zukunft möchte Suzie solche Geschichten auch auf Instagram teilen und sich noch mehr mit anderen austauschen. Die steigende Followerzahl helfe ihr indirekt, über die Runden zu kommen aber habe auch manchmal einen Beigeschmack.

Suzie lacht “Meine größte Mobberin hat sich nach Jahren bei mir gemeldet und tut jetzt so lieb und interessiert, seit ich mehr Follower habe. Sowas geht gar nicht in meinen Kopf. Das war mein größter Feind.” Man merkt den Schmerz und das Unverständnis, das in ihren Worten mitschwingt. “Menschen sind weird”.

Inspiration und Selbstbild

Aktuell gibt es das erste Mal eine Single von Suzie auf Spotify. Auch eine Premiere zum Musikvideo wurde veranstaltet. Woher kommt die Inspiration?  “Künstler, die mich inspirieren, sind Alice Phoebe Lou, Alt-J, Wolf Alice und viele mehr!”

Ich spreche Suzie auf ihr Feenhaftes Auftreten an. Sie erinnert mich an Aurora.

“Oh mein Gott! Ich liebe Aurora!” ruft Suzie und strahlt. “Sie inspiriert mich so sehr. Das Feenhafte, aber auch die tolle Musik. Ihre Stimme ist der Wahnsinn!” Vor einem Jahr war Suzie bei einem Konzert von Aurora und habe die ganze Zeit über vor Freude geweint. “Sie sagt immer, dass auch Männer weinen dürfen und dann heulen sich alle im Publikum richtig aus. Das ist so befreiend”.

Auf die Frage, ob sie sich bei all den Erfahrungen als Feministin sehe antwortet Suzie, “ja”, sie wolle sich zwar mit dem Thema mehr auseinandersetzen, aber equality hat für sie einen hohen Standard. “Ich muss mir mehr über diese Themen mehr ansehen, bevor ich darüber reden will. Und vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube an das Gute in den Leuten”. Für mich persönlich klingt die Art, wie Suzie für sich einsteht, sehr stark. Die Unabhängigkeit, die sie sich selbst schafft, beneiden viele.

Ich hoffe, Suzie from across the river kommt gut über den Winter und wir hören schon ganz bald noch mehr von ihr.

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Hi, ich bin Vera ...

Dass mein Herz für beat schlägt, weiß ich schon lange aber als ich die erste Foto Strecke in der juice gesehen habe wusste ich - Portraits von Musiker:innen - da will ich mal hin! Als „Lichttrauma“ fotografiere ich seit knapp zehn Jahren und veröffentliche seit 2017 die ersten Beiträge über Musik-Events.

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