Ob Tocotronic, Animal Collective, K.Flay, Das Paradies und zuletzt sogar das Tempelhof Sounds Presents; immer mehr Bands und Künstler*innen sagen ihre Tourneen und/oder Konzerte ab. Viele nennen den schleppenden Vorverkauf und finanzielle Schwierigkeiten als Gründe. Doch woran liegt es, dass immer weniger Ticket verkauft werden und Touren für Musiker*innen nicht mehr finanzierbar sind?

Abgesagt: Viele Konzerthallen wie das Astra bleiben leer (Symbolbild)>
Die große Rückkehr der Livemusik im Zuge der Pandemie entpuppte sich in den letzten Wochen und Monaten als eher verhalten. Die Bilder in den sozialen Medien täuschen zum Teil, denn abgesehen von großen Mainstream-Acts, die z.B. in der Mercedes-Benz-Arena spielen oder lokalen Größen wie Die Ärzte, Beatsteaks, Deichkind oder Kummer bzw. Kraftklub, die immer ausverkauft sind, sind die Clubs oft nur halb gefüllt oder bleiben gleich komplett leer. Selbst Festivals wie das Hurricane oder Highfield waren nach 2 Jahren Ausfall nicht ausverkauft, während das Puls Openair oder Helene Beach gar nicht erst stattfanden. Das Tempelhof Sounds Presents, das im Juni 2023 in der Waldbühne stattfinden sollte, wurde unlängst aus “produktionstechnischen Gründen” abgesagt. Eine Aussage, die ihm Veranstaltungsjargon bedeutet, dass zu wenige Tickets verkauft wurden.
Abgesagt – diesen Status sieht man in letzter Zeit immer häufiger und das ist längst nicht mehr allein auf die Corona-Pandemie zurückzuführen. Ein Grund ist tatsächlich immer häufiger, dass einfach zu wenige Tickets vorab verkauft wurden, sodass es sich für die Künstler*innen nicht mehr lohnt bzw. nicht mehr bezahlbar ist, die Tour überhaupt anzutreten. Mittlerweile sprechen auch endlich mehr Musiker*innen öffentlich darüber, wie z.B. Tocotronic, die kürzlich einen Teil ihrer Konzerte aufs nächste Jahr verschoben haben:
Wir wollen ganz ehrlich sein: Im Augenblick sind die Vorverkäufe zu schwach, als daß sich eine Durchführung der Tour für die Clubs, die örtlichen Veranstalterinnen, uns und unsere Crew gerechnet hätte. Die Zeiten sind wohl nicht danach, viele Künstlerinnen machen gerade ähnlich schmerzhafte Erfahrungen.
Tocotronic (Facebook)
Ähnlich äußerte sich auch die schwedische Punkrock-Band Millencolin:
Due to ongoing tickets sales not being at the level they need to be in all areas of our upcoming run, we have in dialogue with our promoter decided to move our entire upcoming European tour. The current state of the world regarding costs in general and for us as a touring band having unrealistic logistical costs has been a major factor in this to us very sad decision.
Facebook
Auch Das Paradies nennt den “geisterhaften VVK” als Übeltäter.
Andere Künstler, wie z.B. Tom Grennan, Tones & I oder Amy Shark geben die Nachwirkungen der Pandemie und Visa-Probleme zwischen der EU und dem UK beziehungsweise Australien an, während Sam Fender und Arlo Parks mental health als Grund für die Absagen nannten. Die Liste der Absagen ist lang und noch längst nicht am Ende.
Doch was steckt hinter dem schlechten Vorverkauf und finanziellen Problemen der Künstler*innen?
1. Steigende Ticketpreise
Wie so ziemlich alles andere auch, sind die Ticketpreise seit der Coronajahre 2020 und 2021 noch einmal ordentlich gestiegen. Für ein Konzert in der Größenordnung Huxleys oder Columbiahalle muss man mittlerweile 50€ hinlegen, vor der Pandemie lag der durchschnittliche Preis noch bei 38€. Entsprechend ist auch nicht allzu verwunderlich, wenn die Hallen nicht voll werden oder die Konzerte runterverlegt (so geschehen bei Kasabian) oder gleich abgesagt werden. Doch leider landet ein Großteil des Ticketpreises in der Regel nicht bei den Künstler*innen, sondern bei Ticketportalen wie Eventim oder Ticketmaster, sowie Großveranstaltern wie Livenation.
Da wir alle mit steigenden Energiekosten und Lebensmittelpreisen zu kämpfen haben ist es wenig verwunderlich, dass Konzerttickets bei vielen potentiellen Konzertbesuchen nicht mehr ganz oben auf der Liste stehen.
2. Potentielle neue Corona-Restriktionen
Gerade für Bands aus dem Ausland ist es oft noch zu riskant, eine Tour in Europa zu planen und Gefahr zu laufen, sie, wenn auch nur zum Teil, nicht spielen zu können da neue Restriktionen in Kraft treten könnten. Für Konzertgänger ist es nicht anders. Nach all den Absagen und Verschiebungen der letzten Jahre, bei denen man oft seinem Geld hinter laufen musste oder mit Gutscheinen vertröstet wurde, sind viele Fans vorsichtig geworden. Oft kaufen sie ihr Ticket kurzfristig, an der Abendkasse oder Second Hand.
3. Die neuen Babyboomer: Die Ü-30 jährigen brechen als Zielgruppe weg
Gleichzeitig scheint der mangelnde Vorverkauf vor allem Bands mit einem Publikum zwischen 30 und 40 zu betreffen. Das ist insofern verwunderlich, da diese Zielgruppe eigentlich eher in der Position sein sollte, sich die steigenden Preise leisten zu können als etwa Teenager oder Menschen in ihren 20ern. Der Grund scheint eher in einer Art erneutem Babyboom zu liegen. So habe ich es im eigenen Freundeskreis erlebt, dass nicht weniger während der Pandemie geheiratet und/oder Nachwuchs bekommen haben. Natürlich haben Menschen auch vor Corona Babys bekommen, aber eben nicht so viele auf einmal. Hinzu kommt sicher eine gewisse Ermüdung, dass man nach 2 Jahren Absagerei und Lockdowns doch lieber auf der Couch bleibt und netflixt.
4. Teures Benzin, Mietwagen, Flüge und Transportkosten
Für Bands aus dem Ausland sind Touren in Europa durch steigende Benzin-, Mietwagen- und Flugpreise oft nicht mehr rentabel, erst Recht nicht in Verbindung mit mangelnden Vorverkäufen. Außerdem kommen noch Kosten für Transport von Equipment sowie die allgemeine Inflation auf Musiker*innen hinzu.
5. Fehlendes Personal
Wie auch an den Flughäfen herrscht in der Veranstaltungsbranche großer Personalmangel. Grund dafür ist wieder einmal die Corona-Pandemie, während derer viele Mitarbeiter*innen nicht mehr beschäftigt werden konnten und mittlerweile in andere Jobs abgewandert sind. So musste das Puls Openair in Bayern abgebrochen werden, da es zu weniger Sicherheitspersonal gab. In den Clubs sieht es oft nicht anders aus, auch hier fehlt Personal am Einlass, an der Bar oder beim Auf- und Abbau.
6. Brexit
Seit dem Brexit benötigen britische Staatsbürger ein Visum, um nach Europa zu reisen. Das wiederum bringt einen bürokratischen und finanziellen Aufwand mit sich, was neben den vielen anderen steigenden Kostenpunkte Druck auf die Bands und Künstler*innen ausübt.
The Show must go on
Von alleine wird sich die Veranstaltungsbranche nicht erholen, zumindest nicht unter den momentanen Bedingungen. Als Fans können wir aber unser Bestes geben, die Künstler*innen, die wir gern hören, zu unterstützen indem wir Tickets für ihre Konzerte und ihre Alben oder Merchandise kaufen