Glass Animals im Interview: Bye bye, Peanut Butter!

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Es war ein harter Weg, den die Glass Animals gehen mussten bis zu ihrem neuen, dritten Album „Dreamland“. Wir haben Drummer Joe Seaward in einem Corona-gerechten Zoom-Interview getroffen und mit ihm über diese schwierige Zeit und das neue Album gesprochen.

Glass Animals

(c) POONEH GHANA

Joe Seaward (1.v.r.) von Glass Animals im Interview

Joe Seaward (1.v.r.) von Glass Animals im Interview | © Pooneh Ghana

Wenn man als Redakteur eine Band interviewt, möchte man normalerweise am liebsten mit dem Bandleader sprechen. Das gilt besonders für eine Band wie den Indie-Rockern Glass Animals aus Oxford: Mastermind Dave Bayley ist nicht nur Sänger, Texter und Producer der Band, sondern als Social-Media-Head und gnadenlose Rampensau auch derjenige, der den Fans am nächsten steht. Dave ist ohne Zweifel das Aushängeschild der Band, er ist die Band. Doch diesmal ist alles anders. Diesmal, bei Album Nummer 3, teilt sich Dave das Rampenlicht mit dem Drummer Joe Seaward.

„Es war eine schwere Zeit in all unseren Leben“

Im Juli 2018 kam die Nachricht, die alles veränderte: „Letzten Montag hatte unser bester Freund und Drummer Joe Seaward einen schweren Fahrradunfall mit einem Laster. Sein Bein ist gebrochen und er verfing sich im Anhänger des LKWs, wobei er eine schwere Schädel-Hirn-Fraktur erlitt“. Joe ist dem Tode nahe, wird mehrfach am Hirn operiert, aber überlebt. Als er erwacht, hat er kein Kurzzeitgedächtnis, kann nicht sprechen, nicht schreiben, nicht laufen. Es ist erstmal aus mit den Glass Animals – vielleicht für immer.

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„Die meisten meiner banalsten menschlichen Fähigkeiten wurden mir entrissen. Nichts von dem, was mich als Person auszeichnet, konnte ich noch tun“. Zwei Jahre später sitzt Joe mir im Zoom-Meeting gegenüber, wirkt entspannt, gesund, als wäre nie etwas gewesen. Ohne jede Berührungsängste plaudert er aus dem Nähkästchen über seine Erfahrungen nach dem Unfall.

Es grenzt an ein medizinisches Wunder: Unglaublicherweise lernte Joe alles wieder von vorne, er brachte sich bei zu reden, zu lesen, zu laufen – und auch das Schlagzeug zu spielen. Seine drei Bandmitglieder, allen voran Bandleader Dave, halfen ihm bei diesem Prozess und standen während dieser schwierigen Zeit an seiner Seite. „Die Art und Weise, wie sie mit der ganzen Sache umgegangen sind, ist ziemlich unglaublich“, erzählt Joe. Sein Tonfall ist voller Respekt und Dankbarkeit – wie immer, wenn er über seine Bandmitglieder spricht. Die Vier sind seit ihrer Schulzeit eng befreundet. „Eines der besten Dinge, die aus dem Unfall hervorgegangen sind, ist die Erkenntnis, dass ich mich mit wirklich guten Menschen umgebe – den besten Menschen! Erst wenn etwas so Schlimmes passiert, kannst du wirklich wissen, auf wen du zählen kannst. Und aus dieser Perspektive heraus ist unser Band-Leben jetzt sogar besser als je zuvor“.


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Und so, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, feierten die Glass Animals ihr Comeback – in originaler Besetzung. Erst schien alles wie am Schnürchen zu laufen: Neue Songs, erste Konzerte, Album Nr. 3 in den Startlöchern. Doch dann die nächste unfreiwillige Bremse: Corona. Die Geschehnisse in USA rund um George Floyd und Black Lives Matter sind dann der vorläufige Sargnagel. Das Album hätte bereits Anfang Juli erscheinen sollen, doch die Band verschob die Veröffentlichung. „Es fühlte sich einfach vollkommen unangebracht an, irgendwie trivial, Musik zu veröffentlichen, wenn die Welt gerade einer Zeit ist, in der sie Raum zum Nachdenken und für Respekt und Liebe braucht“.

„‘Dreamland‘ fühlt sich an wie der logische nächste Schritt“

Jetzt, nach all den Hürden und Zeiten der Unsicherheit, ist es also soweit: Das dritte Album der Glass Animals ist endlich da und hört auf den Namen „Dreamland“. Irgendwie passend. Fazit? „Dreamland“ klingt anders, zum Teil sehr anders als seine Vorgänger. Die Glass Animals waren noch nie eine Band, die sich auf ihrer Musik ausgeruht hat, obwohl sie das durchaus hätte können. Erfolg hatten sie schließlich schon mit ihrem großartigen Debüt „Zaba“ von 2014. Dort tauchten sie noch in eine völlig abstrakte Klangwelt ein, die wie ein verwunschener Urwald voller dichter Strukturen, exotischem Geplätscher und verspielter Details daherkommt. „Peanut butter vibes“, betitelten sie es damals im Song „Gooey“ passend. Nichts für den Mainstream, aber in der Indie-Szene ein Erfolg. Der Nachfolger „How to be a human being“ von 2016 ließ mehr Pop in der Musik zu, der Sound wurde klarer, definierter, wuchtiger, aber auch viel tanzbarer und eingängiger. Radios konnten auf einmal etwas mit den etwas handzahmeren Glass Animals anfangen. Das aktuelle „Dreamland“ geht einen Schritt weiter. Die Platte klingt urban, amerikanisch, liebäugelt immer wieder mit einem aalglatten R’n’B-Pop, wie er seit Jahren die Charts anführt. Von dem quirky britischen Indie-Rock eines „Zaba“ scheint die Band jetzt meilenweit entfernt. Bye bye, Peanut Butter Vibes!

„Ja… ich sehe, was du meinst“, gibt Joe etwas widerwillig zu, als ich ihm nach dieser musikalischen Entwicklung frage. „Aber für mich fühlt es sich einfach an, wie der logische nächste Schritt. Schon ‚Hazey‘ auf unserem ersten Album war meiner Meinung nach ein R’n’B-Song. Diese Wurzeln – Hip-Hop und R’n’B – waren schon immer da und hatten großen Einfluss auf uns. Das ist schließlich die Musik, die wir hören, wenn wir im Tourbus chillen oder eine laue Sommernacht zusammen genießen.“

Für Indie-Ohren mag der neue Mainstream-Sound durchaus gewöhnungsbedürftig klingen und den ein oder anderen alten Fan dürfte „Dreamland“ damit auch gänzlich vergraulen. Songs wie das plumpe „Tokyo Drifting“ mit dem amerikanischen Rapper Denzel Curry oder das im Autotune ersoffene „Melon and the Coconut“ machen es selbst mir als treuen Band-Liebhaber der ersten Stunde schwer, das Album so sehr zu lieben wie die beiden Vorgänger. Aber mit gutem Gewissen lieben darf man es trotzdem, denn: In „Dreamland“ steckt weiterhin das Genie der Glass Animals, und für jeden grenzwertigen Track gibt es auch wieder eine Entschädigung im nächsten. Da haben wir zum Beispiel die fantastischen Vorab-Singles „Your Love (Déjà Vu)“ und „Heat Waves“, die mindestens genauso raffiniert wie catchy sind, oder der wundervoll verträumte Titeltrack „Dreamland“.


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„Das Album fühlt sich selbstbewusster an“

Generell dreht sich „Dreamland“ mehr denn je um Bandleader Dave Bayley. Nicht umsonst ist sein Gesicht erstmals auf dem Plattencover zu sehen, umringt von persönlichen Gegenständen. Er ist in der Band alleinverantwortlich für die Songtexte, die seit dem abstrakten „Zaba“ zunehmend persönlich werden. „Dave ist als Lyriker selbstbewussterer geworden. Ich finde, er wird besser und besser, je mehr er schreibt“, erklärt Joe, wie immer wertschätzend.

Trotzdem bleiben die Glass Animals ein Bandprojekt: Dave kommt mit dem Songtext und ein paar musikalischen Grundideen zur Band, die dann gemeinsam den Sound ausarbeitet. „Wir werfen Dave Unmengen an Ideen zu – Drums, Streicher, Bassspuren usw. – und verwandeln seine Grundidee in eine sehr aufgeblähte Version des Songs. Dave schnappt sich das Ganze und bricht es wieder herunter, haut zig Ideen in die Tonne und behält ein paar davon“. Und genau das macht den Trademark-Sound der Glass Animals aus, der sich durch die drei so verschiedenen Alben durchzieht: Ihre Musik ist immer ein kunterbuntes Sammelsurium von kleinen, aber feinen musikalischen Einfällen und Spielereien, die dank Daves Können als Producer im Zusammenspiel trotzdem nie überladen wirken. Einen kleinen Höhepunkt erreicht die Band im Song „It’s All So Incredibly Loud“, einem komplexen Mini-Opus, den Joe als „eine Art ‚Monster‘“ und „das unzähmbare Biest des Albums“ bezeichnet. „Wir haben so unzählig viele Stunden damit verbracht, darüber nachzudenken, wie wir es der Welt am besten präsentieren“. Und das hat sich gelohnt. Wie auch bei den allermeisten Tracks auf „Dreamland“.


„Dreamland“, das dritte Studioalbum der Glass Animals, erscheint am 07.08.2019 über Universal. Am 06. Mai 2021 kommt die Band auch endlich wieder live nach Berlin in die Columbiahalle. Einen Tag später, am 07. Mai, sind sie in Köln zu sehen.


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